d.b. waves
Man kann dem hochspannendsten und forderndsten Schweizer Avant-Hardcore-New-Music-Trio vielleicht vorwerfen, dass diese Musik nahezu zu Tode gefördert ist – siehe die urlange Förder-Latte –, aber einmal hätte dann diese grandiose Extension mit diversen Musiker*innen, konzipiert aus der Collabo mit dem Berner Komponisten Marc Kilchenmann, wohl nie das Licht der CD-Presswerke erblickt, und zum anderen ist das Material einfach zu gut, different und komplex, als dass es ungehört bleiben sollte. Die 5 bisweilen sehr disparat wirkenden, aber in tutto sehr sinnig aufeinander folgenden Stücke – so ‚Plan 1976’ des schändlich unbekannt gebliebenen Komponisten Hermann Meier – regen Synapsen und auditiven Cortex derat inspirierend an, dass die Freude gar nicht mehr aufhört. So lässt sich das E kein U vormachen – top!
honker
GOOMR
Für diese konzertierte Aktion hatten die Richtigen die Finger im Spiel: Felix Klopotek mit dem Kölner Label, Reinhard Kager als NowJazz- & JetztMusik-Mann vom SWR2, und natürlich der Full-Blast-Bassist Marino Pliakas, der Hammondorgler und Elektroniker Dominik Blum und der Drummer Lucas Niggli. Das Schweizer Trio hat ‚Get Out Of My Room‘, eine Kompostion ihres Landsmannes F. Profos (*1969), bei den Donaueschinger Musiktagen 2006 uraufgeführt und 2008 eingespielt, jeweils verzahnt mit ‚Heat‘, nicht umsonst so getauften Stoff eigener Machart. Profos, wenn man seinen Kompositionen ‚Come to Daddy‘, ‚Dunkles Hotel‘ oder ‚Lingua Mortuorum‘ lauscht oder ‚Slow Burns‘, das er 2003 für das Maarten Altena Ensemble geschrieben hat, eher Melancholiker und stiller Brüter als Kraftmensch, hat hier mit den Fäusten komponiert. Ostinate, unregelmäßige Hiebe oder Rammstöße, zunehmend knurrig und verzerrt, bestimmen den ersten seiner vier Sätze, der sich ganz einem Durchbruchswillen hingibt. Der zweite Satz lässt jeden Schlag bassknurrig dröhnend nachorgeln, akzentuiert von zischenden Cymbalblitzen. Diese Götzendämmerung - man denkt nämlich unwillkürlich an Die Donnergötter von Rhys Chatham - versucht ‚First Heat‘, das fliegend durchstartet, mit purer Raserei dem Endziel näher zu bringen. Zischendes Gepolter, bassdrumdurchdonnert, jaulendes Georgel und Bassriffing, dass die Finger glühen, versetzen das Steamboat in ein brodelndes Stahlgewitter, mitten in eine stalinbeorgelte Kesselschlacht. Mittendrin bleiben nur zitternd georgelte Triller, ein flatternder Schweben über dem Abgrund. Dem folgt Profos‘ dritte Attacke, mit Schlägen, die jetzt an sich zu zweifeln scheinen. Das Knurren setzt immer wieder an, aber die Beats markieren jetzt nur den Takt einer Auszeit. ‚Second Heat‘ erweitert den Zeitrahmen durch kakophones Ausdifferenzieren, dem Bassdrumgeboller kurz einen groovigen Schub gibt. Doch noch wird klangverliebtes Klim und Bim bevorzugt, wieder mit zitternden Orgelsplittern. Aber dann kommt es doch ins Rollen, ein unbedingtes Ja zur höheren Gewalt (nach der Profos sein Ensemble Forcemajeur benannt hat, in dem auch Niggli wieder auftaucht). Nietzsches Schweizer Vermächtnis? Die letzten drei Minuten sind ein einziger Kladderadatsch im Wechsel von Profos-Beats und Steamboat-Dithyrambik. Licht wird alles was ich fasse, Kohle alles, was ich lasse...
Rigobert Dittmann
Nachbeben
ner. · Fast könnte man diese Formation für eine Heavy-Metal-Band halten, so viel Wucht und Tonnenschwere steckt in ihrer Musik. Gleichzeitig besitzt sie das Fingerspitzengefühl und die Delikatesse eines Kammermusikensembles. Steamboat Switzerland ist ein Paradox - ein Powertrio, das hochkomplexe avantgardistische E-Musik mit solch brachialer Intensität in Szene setzt wie keine zweite Band auf dem Planeten, und das alles auf dem Lautstärken-Level eines Düsenjets. Wichtig ist für Steamboat Switzerland überdies, dass man verschiedene musikalische Verfahren pflegt - von der Improvisation bis zur Interpretation. Der Schweizer Komponist Felix Profos nun hat Dominik Blum (Orgel, Synthesizer und Elektronik), Marino Pliakas (Bassgitarre) und Lucas Niggli (Schlagzeug) eine siebenteilige Komposition auf den Leib geschnitten. Sie bringt auf überzeugende Weise die Stärke der Band zum Vorschein, die in ihrer schillernd-schimmernden Klanglichkeit liegt, der Profos genügend Zeit gibt, sich zu entfalten. Mit grosser intellektueller Klarheit entwirft der Komponist ein Klangszenario aus hypnotischen Blockakkorden und berstenden Trommelakzenten, das mit stoischer Unbeirrbarkeit seinen Weg geht. Manchmal verwandelt sich die Musik in eine elektrisch aufgeladene Gewitterlandschaft, in der Blitze wie Peitschenhiebe mit harter Unerbittlichkeit niedergehen. Zwischen die extreme Monumentalität der komponierten Blöcke schieben die drei Musiker verspielte Improvisationen, die im Vergleich zur Strenge und Gewalt der Kompositionen wie Lockerungsübungen vor der nächsten Entladung wirken. Steamboat Switzerland ist mit dieser Produktion, über Jahre in der Mache, vielleicht ihre bisher überzeugendste Veröffentlichung gelungen - ihre beste so far.
Höllenhunde: Azeotrops sorgfältige Lärmattacken
Es fängt so harmlos an. Die pechschwarze Plattenhülle, die nur von einem fahlen grauen Strahl durchbrochen wird, hätte einem Warnung genug sein müssen, aber dann tröpfeln nur einige vorsichtige, leise Orgeltöne aus den Boxen. Doch dann bricht die Hölle los. Ein Massiv aus Trommelgewittern trifft auf eine Wand aus wüsten Hammond-Clustern, dazu ächzt und stöhnt eine Stimme, von der man die weiß, ob es die der Sängerin Cäcilia Schüeli ist oder ob die Töne einem aus Dominik Blums entfesselter Orgel entgegen fauchen. Azeotrop bestehen im wesentlichen aus Blum und dem Schlagzeuger Peter Conradin Zumthor, die die Exzesse von extremem Heavy Metal und Hardcore Punk, den sogenannten Grindcore, mit Kompositionsmethoden der Neuen Musik anreichern. Diese polyrhythmische Zwölftonmusik ist wahrlich nichts für zarte Gemüter, denn ihre aggressiven Klangwände lassen die Kollegen der Metal-Szene, beispielsweise Slayer oder Metallica, wie kleine Jungs aussehen. Dabei entstammen Blum und Zumthor der Schweizer Avantgarde-Szene, die sich ganz ordentlich mit Sechzehntelton-Klavieren oder den Werken des Komponisten Hermann Meier (1906-2002) auseinandersetzt. Doch ihrem in früher Jugend entstandenen Faible für heftige Musik, etwa King Crimson, Black Sabbath oder die sich in jüngster Zeit hervorgetan habenden Lärm-Orgiastiker Sunn O))), haben die beiden Musiker nie abgeschworen. So spielt Dominik Blum auch im Trio Steamboat Switzerland, das seit Jahren eine ähnliche Melange mit vielfältigen Resultaten hervorbringt. Dass diese brutalen Lärm-Attacken äußerst sorgfältig komponiert sind, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Zumthor arbeitet mit vorproduzierten Jingles, die in die Musik von Azeotrop eingeflochten werden und Blum hat Ausschnitte aus Hermann Meiers "Stück für Elektronik 1" und "Flächen" für einige Stücke verwendet, bei denen er Klavier- und Orgel-Samples einsetzt. Eine radikale Laut/Leise-Dynamik, Geschwindigkeitsexzesse und kompromisslose Tempowechsel bis zu einem nervenzerrend zähen Lavastrom an Tönen sind die Ausdrucksmittel, die Azeotrop so unerbittlich einzigartig machen. Dazu kommt ein geradezu pedantischer Sinn fürs Detail und eine virtuose Beherrschung der Instrumente, die aus Azeotrop mehr werden lässt als nur schlichter Lärm von zwei Schweizer Höllenhunden. Dass die Debüt-LP von Azeotrop nur auf Vinyl erhältlich ist, verstärkt noch den Fetischcharakter dieser Musik.
Rolf Thomas